rga vom 29.05.2020 von Andreas Weber
„In ein paar Jahren gibt es vielleicht keine Schulbücher mehr“, brachte Alexander Schmidt (CDU) im Schulausschuss die veränderte Lernwelt des 21. Jahrhunderts auf den Punkt und stellte verbal die Weichen für einen Prüfauftrag an die Stadtverwaltung, der allen Remscheider Schülern möglichst zu Schuljahresbeginn 2020/21 ein digitales Endgerät bescheren soll. Laptops oder Tablets für alle – das ist eine Forderung, die in Corona-Zeiten und E‑Schooling mehrere Fraktionen umtreibt.
Zeitgleich brachten die Christdemokraten ihren eigenen sowie SPD, FDP und Grüne einen anderen Antrag ein, die inhaltlich dasselbe wollen. Tenor: „Corona legt lang bestehende strukturelle Mängel in der digitalen Schullandschaft offen.“ Mit der aktuellen Ausstattung könne ein „angemessener, digital gestützter Unterricht“ nicht gewährleistet werden. Die Kreidetafel nur durch den Beamer zu ersetzen, reiche nicht. Die Kommunalpolitiker befürchten: Wird jetzt nicht reagiert, werde die soziale Kluft größer. Denn nicht jeder Haushalt kann sich Tablet oder Laptop leisten. Schüler würden so beim Lernen abgehängt.
Brigitte Neff-Wetzel (Linke) freute sich deshalb, dass im CDU-Antrag steht, dass alle Kinder unterstützt werden müssten, unabhängig von der ökonomischen Situation ihres Elternhauses. Markus Eschweiler (Schulamt) lieferte Zahlen dazu. Valides Datenmaterial für Remscheid gibt es zwar nicht, gleichwohl geht die Stadt davon aus, dass der Schüleranteil, der über kein schulfähiges Endgerät verfügt, bei rund 4000 liegt. Hinzu gesellen sich Kinder, die in der Familie den Bildschirm mit weiteren Angehörigen teilen, keinen geeigneten Netzzugang haben oder Mobilfunk mit zu wenig Datenvolumen.
15.959 Schüler besuchen in Remscheid die Grund- und weiterführenden Schulen. Geht man von um die 5000 aus, die ein Leihgerät benötigen, errechnet Eschweiler eine Investition von vier Millionen Euro für wlan-taugliche Geräte, nicht eingerechnet der Support, der pro Gerät bei 50 Euro liegen würde. Unberücksichtigt dabei sind Software und Vertragskosten. Die Stadt geht von neuen Geräten, iPads oder Notebooks aus, die über fünf Jahre genutzt und abgeschrieben werden und in der Anschaffung bei um die 800 Euro liegen.
Umfragen in den Schulen gibt es bislang kaum. Die Stadt spekuliert, dass im Bestand der Schulen rund 130 Leihgeräte sein könnten. Die Schulpolitiker machen deshalb Druck. „Die digitale Ausstattung der Remscheider Schulen darf nicht so beschissen sein wie die Schultoiletten“, spitzte es Alexander Schmidt zu. Jutta Velte (Grüne) regte an, den „digitalen Schwung“ zu nutzen.
Christian Günther (SPD) bat, sich nicht von großen Zahlen schrecken zu lassen. Dass man 5000 Endgeräte nicht mal eben zur Verfügung stelle, sei ihm klar, Günther betonte jedoch: „Wir stehen vor einem grundlegenden Wandel bis zu umgekehrten Lernprozessen. Die Zukunft des Lernens wird heute in Remscheid entschieden.“ Bernd Schaub, seit Mitte der 80er Jahre für die IT an der AvH-Realschule zuständig, warnte: „Das eine sind die Kosten, das andere die Umsetzung. Es fehlt uns die Power der Unternehmen von außen, um das umzusetzen.“ Jörg Bergemann, Schulleiter an der Albert-Schweitzer-Realschule, fehlt die Nachhaltigkeit: „Über vier Millionen Euro für fünf Jahre und 5000 Geräte ausgeben, die am Ende im Elektroschrott landen, macht das Sinn?“, fragte er. Waltraud Bodenstedt (WiR) verwies auf das Lehrpersonal an den Schulen, das vielfach nicht so weit sei, die digitale Kehrtwende zu vollziehen.
In diese pumpt die Stadt schon heute Geld. 2020 investiert sie 988 000 Euro, zusätzlich 452 000 Euro für Aufgaben wie Wartung und Support. Zusätzlich fließen Mittel aus den Förderprogrammen „Gute Schule 2020“ oder dem Digitalpakt. Letzterer soll ermöglichen, alle Schulstandorte mit Lan und Wlan auszustatten sowie für die Breitbandoptimierung zu sorgen.
Sofortausstattung
Hoffnung auf schnell gewährte finanzielle Mittel setzt die Stadt in das 500-Millionen-Sofortausstattungsprogramm des Bundes für digitale Lernmittel. Dieses wird nach einem Schlüssel an die Länder verteilt, hernach an die Kommunen, aufgestockt durch einen Eigenanteil der Länder in Höhe von zehn Prozent. Im Schulausschuss war davon die Rede, dass Remscheid dann vielleicht mit einer halben Million Euro rechnen könne. Wann das Geld fließen könnten, soll die Verwaltung bis zur nächsten Schulausschuss-Sitzung am 17. Juni klären.